OLDIES
CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
von Franz
Schöler
Franz Schöler ist seit über 40
Jahren aufmerksamer Be-
obachter der Musikszene. In
STEREO kommentiert er neu
erschienene Aufnahmen der
Rock- und Popgeschichte.
Bob Dylan And The Band
THE BASEMENT TAPES COMPLETE:
THE BOOTLEG SERIES VOL. 11
Sony Legacy
6
CDs (Preis: zirka 100 Euro)
(395
’)
Auch als LPs erhältlich
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ ★ ★
Greil Marcus sah in seiner Mono-
graphie über die Basement Tapes
Bob Dylan und seine Begleiter auf
einer musikalischen Reise zurück
in „The Old Weird America“ (so
der Titel des Buches). Aber richtig
„weird“ (= sonderbar) klang das
alles, was mit der Zeit dann fast
komplett auf Bootlegs zirkulierte,
nicht wirklich, „Million Dollar Bash“
so wenig wie „You Ain’t Goin’ No-
where“ , „This Wheel’s On Fire“ ,
„Quinn The Eskimo“ oder „I Shall
Be Released“. Vorläufer des zeit-
genössischen Freak Folk waren das
nicht. Es bedarf schon einiger argu-
mentativer Klimmzüge, diese zehn
Monate währenden Sessions nach-
träglich zur Geburtsstunde des ge-
samten Americana-Genres zu erklä-
ren. Als direktes Ergebnis kann man
natürlich „Music From Big Pink“ be-
trachten, das gefeierte Debüt von
The Band. Aber die Basement Tapes
waren weder logisch noch musika-
lisch oder historisch das alles erklä-
rende Bindeglied zwischen „Blon-
de On Blonde“ und „John Wesley
Harding“ bzw. „Nashville Skyline“.
Nebenbei fielen da ein paar neue
Dylan-Kompositionen ab, die man
wie Jahre zuvor die Witmark-De-
mos geneigten Interpreten für ih-
re Aufnahmen andienen konnte.
Definitive Form hatten - wie auch
„Spanish Is The Loving Tongue“ da
noch längst nicht - die wenigsten
bzw. überhaupt kein Song ange-
nommen. Meist musizierten der
Star und seine Kumpels ganz
entspannt zum eigenen Vergnü-
gen: Country-Oldies von Hank
Williams und Johnny Cash, obs-
kure Traditionals wie „Ol’ Roi-
son The Beau“ und berühmte
wie „Wildwood Flower“ von der
Carter Family, Blues-Klassiker
wie John Lee Hookers „I’m In
The Mood“ und auch mal neuere
Folk-Klassiker wie „Joshua Gone
Barbados“ vom geschätzten Kolle-
gen Eric Von Schmidt. Dass man
das Fragment von „Come All Ye Fair
And Tender Ladies“ - definitiv kein
„essential listening“ so wenig wie
Dutzende andere auch hier - der
Nachwelt klangtechnisch so gut wie
machbar überarbeitet präsentiert,
hat mit dem Anspruch zu tun, das
Material endlich offiziell möglichst
komplett zu präsentieren.
Zwischendurch findet man hier
ganz wunderbar beseelte Aufnah-
men wie die von Bob Nolans „Cool
Water“. Dylan singt! Aber es wäre
Nonsens zu behaupten, dass diese
insgesamt
139
sicher liebevoll und
kompetent restaurierten Mitschnit-
te zum besseren Verständnis von
Dylans künstlerischer Entwicklung
unerlässlich wären. Das luxuriö-
seste Liebhaber-Teil der Bootleg
Series ist dies gleichwohl.
OLDIE DES
MONATS
The Velvet Underground
THE VELVET UNDERGROUND -
45TH ANNIVERSARY EDITION
Polydor/Verve/Universal
6
CDs (p) 1969
(321
’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ ★ ★
Als Lou Reed mit der dritten Vel-
vet Underground-LP vom Avant-
garde- und Garagen-Rocker zum
Songpoeten mit zärtlichen Lie-
besliedern wie „Pale Blue Eyes“
mutierte, erinnerten die
weniger denn je an seine
frühen Jahre und seine
damaligen Brill Building
Pop-Ambitionen.
Viel-
mehr ließ er in die au-
tobiographisch mehr Be-
kenntnisse einfließen als
je zuvor oder später. Pa-
rallel dazu nahm er da-
mals auch viele weitere
neue Songs auf, die er
aber nicht auf dieser LP
veröffentlichte, weil sie
thematisch eher nicht
passten. Die findet man
jetzt auf der vierten,
„19 6 9
Sessions“ betitelten CD die-
ses Sets: Mehr als ein Dutzend Auf-
nahmen, die verstreut auf späteren
Velvet Underground- und Solo-LPs
auftauchen sollten, die meisten al-
lerdings komplett neu abgemischt
oder remastered und so nie zuvor
zu hören. Also ein Raritäten-Teil
für Fans.
Neben der ursprünglich von Ton-
meister Val Valentin vorgenomme-
nen Abmischung präsentiert das
Set auch den sogenannten „Clo-
set Mix“ des Album, wo Lou Reed
als Sänger weit prominenter ‘rü-
berkommt: Den hatte er selber pro-
duziert. So nach vorn gemischt ist
er auch im Mono-Mix auf der drit-
ten CD zu hören. Der klingt jeder-
zeit besser als das von Greg Cal-
bi verbrochene Stereo-Remaster
für die erste Veröffentlichung auf
CD! (Das für dieses Box-Set produ-
zierte neueste Remaster ist in der
Klangqualität weithin identisch mit
dem zweiten später von Bob Lud-
wig produzierten!)
Die eigentliche raison d’etre die-
ses teuren Sammlerteils sind die
CDs mit den Live-Mitschnitten vom
November
19 6 9
im Matrix-Club in
San Francisco: Weithin unveröf-
fentlichte, in dieser Remix-Quali-
tät noch nie zu hörende Aufnah-
men, darunter Songs wie „Rock
& Roll“ und „Sweet Jane“ konzer-
tant, die er aber erst fürs vierte Vel-
vet Underground-Album „Loaded“
aufnehmen sollte.
Rod Stewart
EVERY PICTURE TELLS A STORY
Culture Factory/H
’Art CD
(p) 1971
(42’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ ★
Mink DeVille
COUP DE GRACE
Culture Factory/H
'Art CD
(p) 1981
(34’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT(beide)^^^^^
Zeichen und Wunder: Irgendwer im
Springsteen-Lager hat den „Boss“
doch noch davon überzeugen kön-
nen, dass er seine Platten endlich
auch klanglich generalrenoviert
bringen müsse. Zumindest das
Frühwerk liegt jetzt auf „The Album
Collection Vol.
1
-
19 7 3
-
19 8 2
“ ge-
sammelt vor, gut remastered von
seinem Tonmann Toby Scott und Bob
Ludwig.
Dafür sah man bei Universal im
Fall der Solo-Anfänge von Rod Ste-
wart keinerlei Notwendigkeit. Jetzt
hat sich das Label Culture Factory
der Sache angenommen. Die ers-
ten vier Longplayer - eine einzigar-
tige Mischung aus Folk, Soul-Ever-
greens, Rockabilly, Blues und eini-
gen der besten Dylan-Covers aller
Zeiten - liegt jetzt in umwerfend ge-
lungenem Remastering vor. Dage-
gen klingen die Aufnahmen auf dem
„Mercury Years“-Set und den Dut-
zenden (!) in den letzten zwei Jahr-
zehnten vorge-
legten Samplern
derselben Stü-
cke schier ble-
chern verfärbt!
Nicht nur Danny
Thompson
am
Bass, auch Mar-
tin
Quittenton
und Ron Wood
an Akustik- und Slide-Gitarren - im
weit differenzierteren Mix jetzt viel
prominenter - profitierten vom Re-
mastering. „You’re My Girl (I Don’t
Want To Discuss It)“ klingt endlich
wie eine der besten Glyn Johns-Pro-
duktionen auf dem Faces-Box-Set
„Five Guys Walk Into A Bar“. Kein
Wunder: Das war eigentlich eine
Aufnahme von Stewarts Band Faces
wie auch „(I Know) I’m Losing You“!
Das wie die ersten beiden LPs
wieder von Jack Nitzsche produzier-
te Atlantic-Debüt von Mink DeVille
liegt jetzt erstmals in ganz hervor-
ragendem Remastering vor. Auch
wenn kein Meisterwerk wie „Le Chat
Bleu“, enthält das so berückende
Interpretationen wie die des Arthur
Alexander-Klassikers „You Better
Move On“.
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
STEREO 2/2015 127